Hannah und die gemeinnützige Arbeit

11. September 2021

Wer ist noch nie auf einem Spaziergang an den schön gelegenen Gebäuden des Vollzugszentrums Klosterfiechten vorbeigelaufen und hat unter anderem den üppigen Garten bewundert? Ein Abstecher lohnt sich – auch dank den Produkten im Klosterfiechtenlädeli. Eine Kurzgeschichte rund ums Vollzugszentrum Klosterfiechten erklärt, woher diese Produkte kommen - erzählt von Co-Leiter Daniel Beyeler.

Gedankenversunken und zeitlich unter Druck ist Hannah in ihrem Auto unterwegs nach Hause, nein eigentlich unterwegs in die KITA. Dort wartet ihr kleiner Sohn Benn bereits seit gut 30 Minuten. Benn ist schon vier Jahre alt. «Wie doch die Zeit rast!», denkt Hannah. Sie ist alleinerziehend und versucht die Jonglage zwischen ihrer Arbeitsstelle mit einem Pensum von 70% und der Betreuung von Benn zu bewerkstelligen.

Nun ist sie mit Verspätung unterwegs in die KITA. Einmal mehr staut sich der Verkehr im Dämmerlicht Basels, dann gehts vorwärts. Und plötzlich, obwohl düster und grau, ist Hannah von grellem Licht umgeben, nur für einen ganz kurzen Augenblick. «Was war das denn?», fragt sie sich, «ein Gewitter?» Oder war sie so in Gedanken versunken, hat einen anderen Automobilisten verärgert, sodass dieser sie mit der Lichthupe abstrafte? Hannah kann sich dieses helle Licht nicht erklären, bis sie ca. zwei Monate später einen Brief der Kantonspolizei Basel-Stadt erhält. Darin wird ihr mitgeteilt, dass sie an diesem Abend in eine Geschwindigkeitskontrolle «gerattert» ist… 62 km/h statt den erlaubten 30. Die 32 km/h Überschreitung werden sie gemäss Brief teuer zu stehen kommen. Ach, wie konnte sie nur so unachtsam gewesen sein. Hannah macht sich Vorwürfe, ist verärgert über ihre Gedankenlosigkeit. Wie soll sie diese Geldstrafe nur zahlen? Ende Monat weiss sie auch ohne spezielle Wünsche und Bedürfnisse oft nicht, wie sie all die ins Haus flatternden Rechnungen bezahlen soll. Und nun auch das noch.

Hannah ist verzweifelt. Soll sie Rekurs erheben? Nein, denn sie erinnert sich ja an diesen düsteren Abend, als sie gedankenverloren und zu schnell unterwegs war. Also war es doch ein Radarblitzer; das hatte sie im Nachhinein befürchtet. Kann sie die Geldstrafe eventuell in Raten zahlen? Hannah versucht, sich im Internet zu informieren. Dabei stösst sie auf die Möglichkeit, die Geldstrafe mittels gemeinnütziger Arbeit abzuleisten. Hannah erfährt, was gemeinnützige Arbeit ist: Wer diese Art des Strafvollzugs wählt, kann die Strafe in der Freizeit unentgeltlich zu Gunsten sozialer Einrichtungen und Werke im öffentlichen Interesse abarbeiten. Das würde Hannah ermöglichen, ihrer Arbeit und den Verpflichtungen Benn gegenüber weiterhin nachzugehen und gleichzeitig die Geldstrafe abzuarbeiten. Hannah ist erleichtert und stellt den Antrag auf gemeinnützige Arbeit. Dieser wird von der zuständigen Strafvollzugsbehörde bewilligt.

Schliesslich ist es so weit: Ihr erster Arbeitstag in der gemeinnützigen Arbeit ist da. Ins Vollzugszentrum Klosterfiechten soll sie gehen, um dort in der Gärtnerei und in der Küche zu arbeiten.

Am ersten Tag muss sie Unkraut jäten. Eine beschwerliche und anstrengende Arbeit, die sich Hannah so ganz und gar nicht gewohnt ist; denn ihr Berufsalltag besteht darin, sich hinter ihrem PC mit Zahlen des Rechnungswesens einer mittelgrossen KMU herumzuschlagen. Beim zweiten Arbeitseinsatz muss sie Rhabarber und diverse Salate ernten. Auch diese Arbeit ist für sie beschwerlich. Nun spürt sie den Muskelkater vom Unkraut jäten des Vortags. Ein grosser Teil des Geernteten landet in der internen Küche, und da landet auch Hannah am dritten Tag. Es gilt, die Rhabarber und 30 Kilogramm Johannisbeeren, die sie auch zuvor geerntet hat, zu verarbeiten.

Der Küchenchef ist ein aufgestellter, jüngerer Mann, der mit viel Humor die diversen Personen, die gemeinnützige Arbeit leisten, anzuleiten weiss. Hannah hilft, die verschiedenen Salate und Gemüse zu waschen und zu verwerten. Was geschieht mit den vielen Johannisbeeren und der Rhabarber? Unter Anleitung des Chefs kocht Hannah sie zu Konfitüre und presst Saft, «was das Zeug hält»; denn das Vollzugszentrum rüstet sich für den kommenden Winter und deckt so den Bedarf bezüglich der Verpflegung der Insassen und Mitarbeitenden ab.

Gegen Ende des erfolgreichen Ableistens der geschuldeten Geldstrafe muss Hannah für das «VZK Lädeli» die eingekochte Johannisbeerkonfi, die leckeren Nüsslisalatpasta und die Flaschen mit frisch gepresstem Baumnussöl beschriften und in die Regale räumen. 50 Gläser Konfitüre waren es zum Schluss. Da kam doch was zusammen. Hannah sieht sich die diversen Produkte genauer an. Nebst der erwähnten Konfi gibt es verschiedene Pasta, hausgemachtes Ketchup und andere Leckereien, die an Gäste verschenkt oder über die Strasse im Klosterfiechtenlädeli in Selbstbedienung an Passanten verkauft werden. Alleine schon für dieses feinen Produkte lohnt sich ein Spaziergang hinauf ins schön gelegene Klosterfiechten.

Rückblickend ist Hannah froh, dass sie sinnvolle Arbeit in einer sozialen Einrichtung des baselstädtischen Justizvollzugs leisten konnte. Und trotz all der anstrengenden körperlichen Arbeit war es ihr möglich gewesen, jeden Abend ihren Benn von der KITA abzuholen … nun allerdings ohne erneut eine unangenehme Bekanntschaft mit dem Radarblitzer zu machen.

 

Interessante Links:

Arbeiten statt Bussen zahlen: gemeinnützige Arbeit

Vollzugszentrum Klosterfiechten

 

Impressionen aus Garten, Küche und Lädeli des Vollzugszentrums Klosterfiechten