Von wegen Männerberuf

19. Mai 2021

Am 8. März ist internationaler Tag der Frau. Ein Tag, an dem auf Gleichberechtigung und Frauenrechte aufmerksam gemacht wird. Auch in Basel kam es zu einer grossen Kundgebung. Die Polizei war mit einem grösseren Aufgebot präsent, geleitet wurde der Einsatz von Frauen. Die Gelegenheit für die Frage: Wie steht es eigentlich um die Frauen bei der Basler Polizei? Ein Augenschein mit Major Simona Dematté, Hptfw Eveline Nucito und Wm mbA Sandra Wendelspiess.

«Frauen, bildet Banden!», «Nieder mit dem Patriachat!» – mit solchen Parolen rief der «feministische Streik» und die «revolutionäre Jugend» am internationalen Frauen­tag auf dem Theater­platz in Basel zur Protest­kundgebung auf. 600 bis 800 Teilnehmerinnen sind dem Aufruf gefolgt.

Die Polizei ist mit vielen Einsatzkräften vor Ort. Mit Major Simona Dematté als Einsatzleiterin (EL) und Hptfw Eveline Nucito als örtliche Einsatzleiterin (OEL) sind Frauen im Lead. An der Front mit Dutzenden anderen Polizistinnen und Polizisten ist auch Wm mbA Sandra Wendelspiess.

Nach der Befehlsausgabe fahren Simona Dematté und Eveline Nucito in den Einsatzraum. Dort beobachten sie den sich formierenden Frauentross. Mit der Mannschaft ist die OEL per Funk in Kontakt. Permanente Aufmerksamkeit sowie gegenseitiger Informationsaustausch ist das A und O, um notfalls schnell intervenieren zu können. Die beiden Frauen wirken sehr routiniert. Die Stimmung ist ruhig und konzentriert. «Nervosität ist das falsche Wort, eine gesunde Anspannung trifft es eher», so Nucito.

Die Frauendemo setzt sich Richtung Heuwaage in Bewegung, dann wieder zurück durch die Innenstadt zum Petersplatz. Es kommt zu Sprayereien entlang der Route.

Zu den demonstrierenden Frauen meint Simona Dematté: «Sachbeschädigungen sind bei Demonstrationen nicht zweckdienlich. Aber es gibt natürlich aktuelle Themen, für die es sich zu demonstrieren lohnt: Beispielsweise gegen häusliche Gewalt oder für bezahlbare Krippenplätze. Oder mit Blick ins Ausland hätte der Fall von Sarah Everard zu Solidaritätsbekundungen führen können. Auch Themen wie Chancengleichheit und gleiche Löhne haben ihre Aktualität noch nicht verloren.».

Chancengleichheit, Emanzipation, Egalität: Wie steht es bei der Kantonspolizei um diese Schlagwörter?

Die Kantonspolizei als Vorreiterin

In der Polizeischule 1980/81 waren zum ersten Mal Frauen zugelassen. Sechs Frauen wurden zu Polizistinnen ausgebildet, ihre Arbeitsuniform bestand zu dieser Zeit aus wadenlangen Hosenröcken. Zwar leisteten bereits in anderen Polizeikorps Polizeibeamtinnen Dienst, aber die Basler Polizei war schweizweit die erste, die uniformierte und bewaffnete Polizistinnen im polizeilichen Alltag einsetzte.

Heute liegt der Frauenanteil im Polizeikorps bei etwa 25 Prozent (Sicherheitsassistentinnen ausgenommen), was im schweizweiten Vergleich ein relativ hoher Schnitt ist. Auch hinsichtlich des Frauenanteils im obersten Kader der Polizei nimmt die Basler Polizei eine Vorreiterrolle ein. Seit 2018 sind mit Major Simona Dematté, Hauptabteilungsleiterin Operationen, und Major Alexandra Schilling, Hauptabteilungsleiterin Kommando, erstmals Frauen in der Polizeileitung. «Damit hat die Basler Polizei meines Wissens mehr Frauen in der höchsten Führungsstufe als alle anderen Polizeikorps der Schweiz», so Simona.

Trotzdem ist die Polizei nach wie vor eine Männerdomäne. «Man ist immer die Exotin und somit stärker exponiert als ein Mann. Wenn ein Fehler passiert, heisst es oftmals: ‹Es ist halt eine Frau›». Besonders früher, als sie noch Ressortleiterin bei der Geschäftsstelle der Kantonalen Krisenorganisation (KKO) war, hat Simona Dematté diese Voreingenommenheit gespürt. Auch, weil sie als Zivilistin und Studierte einigen Kollegen wohl nicht ins Bild passte. Den etwas raueren Umgang ist sie sich gewohnt: Sie war die erste Frau im Feuerwehrkorps von Avenches und bei der Gendarmerie in Fribourg war sie die erste Frau auf Offiziersstufe. Jetzt, als erste Frau in der Polizeileitung der Kantonspolizei Basel-Stadt, wird sie allerdings kaum noch mit solchen Vorurteilen konfrontiert: «In meiner Funktion als Mitglied der Polizeileitung fühle ich mich gleichberechtigt. Aber ich muss für meine Rechte kämpfen und mich durchsetzen, so wie die anderen auch. Das hat aber nichts mit dem Geschlecht zu tun, wir sind halt alle Alphatiere.»          

Auch Eveline Nucito wurde vor 21 Jahren, als sie in die Polizeischule eintrat, öfter mit sexistischen Sprüchen konfrontiert als heute. «Mittlerweile nehme ich sie kaum noch wahr oder ich spreche die Person sofort darauf an. Mit der Zeit und den Erfahrungen härtet man ab. Und: man darf auch mal das Maul verbieten», stellt sie augenzwinkernd klar.

Polizistin zu werden war ihr Kindheitstraum. Schon in der Schule hat sich Eveline Nucito für Gleichberechtigung eingesetzt und die Schwächeren beschützt. Auch dass sie Karriere machen wollte, stand schon früh fest. 2017 wurde sie zum – damals einzigen weiblichen – Hauptfeldweibel befördert (die Bezeichnung dieser Gradierungen gibt es nur in der männlichen Form) und übernahm das Ressort Einsatzplanung. «Anfangs war der Druck riesig, ich spürte grosse Skepsis gegenüber mir als Frau. Ich brachte viel Erfahrung mit, es war nicht so, dass ich die Fähigkeiten dafür nicht hatte. Aber ‹Mann› traute es mir nicht zu.»

«Mittlerweile ist der Vorbehalt gegenüber Frauen im Polizeidienst und Frauen im Führungskader der Polizei geringer», führt Eveline Nucito weiter aus. «Trotzdem existiert noch immer die Ansicht, dass Frauen sich nicht für den Polizeiberuf eignen oder zumindest nicht alle Frauen. Als Frau muss man sich entsprechend stärker beweisen und sich mehr engagieren als ein Mann. Es ist sicher eine grössere Herausforderung. Aber vielleicht ist das auch meine Ansicht und ich mache mir selbst zu viel Druck.»

Sandra Wendelspiess war während eineinhalb Jahren in ihrer Tour beim Einsatzzug die einzige Frau: «Ich habe nie negative Erfahrungen gemacht. Die Arbeitsatmosphäre habe ich auch als einzige Frau im Team immer als angenehm empfunden. Trotzdem ist eine Durchmischung des Teams für die Vielfalt, für das Gefüge und für den Spirit idealer. Aber in erster Linie braucht die Polizei fähige Mitarbeitende, unabhängig vom Geschlecht.»

Wenn es um Karrierechancen geht, haben Teilzeitkräfte Nachteile

Die Polizeileitung ist bestrebt, den Frauenanteil weiter zu erhöhen. Alle Polizeistellen in Basel-Stadt werden auch zu achtzig Prozent ausgeschrieben, selbst die Offiziersfunktionen. Dies gezielt, um Frauen zu rekrutieren. 

«Als Bürgerpolizei möchten wir die Bevölkerung angemessen repräsentieren. Dementsprechend wäre das Ziel ein Geschlechtsverhältnis von 50:50», sagt Simona Dematté. «Gleichzeitig möchten wir mehr Frauen für Führungsfunktionen motivieren.» Bis dies erreicht werden kann, dauert es wohl noch: «Die Karrierechancen bei der Kantonspolizei sind für Männer und Frauen dieselben, vorausgesetzt man leistet ein Arbeitspensum von mindestens sechzig Prozent. Bei Teilzeitpensen von weniger als sechzig Prozent wird es schwierig. Das operative Polizeigeschäft verlangt mit Schichtarbeit und Wochenendeinsätzen viel Flexibilität von den Mitarbeitenden. Deswegen verunmöglichen längerfristige kleine Teilzeitpensen potentielle Aufstiegschancen oder machen diese zumindest sehr schwierig.»

Als Arbeitgeberin bietet die Kantonspolizei Basel-Stadt die Möglichkeit, bereits nach Absolvierung der Grundausbildung in einem Teilzeitpensum zu arbeiten. Als Mutter von zwei Kindern und einem Arbeitspensum von fünfzig Prozent schätzt Sandra Wendelspiess genau diese Möglichkeit und die damit einhergehende Flexibilität des Polizeiberufes: «Ich kann Familie und Beruf unter einen Hut bringen. Eine Führungsposition ist derzeit nicht realistisch, aber womöglich zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich mein Arbeitspensum wieder erhöhen kann. Teilzeitarbeit sehe ich als Chance, trotz Familie und Kindern weiterhin arbeitstätig zu sein und den Anschluss nicht zu verlieren.»

Im Basler Polizeikorps arbeiten derzeit 23 Prozent aller Polizistinnen in einem Teilzeitpensum von sechzig Prozent oder weniger. Bei den Männern beträgt dieser Anteil gerade mal ein Prozent. «Es braucht eine Verbesserung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf», fordert Simona Dematté. «Frauen sind in den Umständen nicht gleichberechtigt. Das hängt nicht mit der Polizei zusammen, sondern mit den Charakteristika unseres Landes. In der Schweiz muss man sich in der Regel zwischen Karriere und Kind entscheiden, weil Kinderbetreuung nach wie vor häufig Sache der Frau ist. Hier müsste das System geändert werden: Es muss genügend bezahlbare Krippenplätze geben und die Kinderbetreuung muss als Aufgabe beider Elternteile betrachtet werden. Zudem darf es nicht sein, dass sich eine Frau entschuldigen muss, wenn ihr Kind zu hundert Prozent in der Krippe ist. Ein Mann muss sich dafür auch nicht rechtfertigen.»

Die Polizei ist auf Frauen angewiesen

Es ist auch ein Kampf gegen Klischees: «An der Polizei haftet noch immer das Image vom brachialen Mann im Ordnungsdienst», erläutert Simona Dematté. Männlich konnotierte Attribute wie Stärke, Kraft und Ausdauer scheinen besonders wichtig für den Polizeiberuf: «Das entspricht nicht der Realität; wir sind schon lange keine Staatspolizei mehr. Als Bürgerpolizei legen wir viel Wert darauf, uns auf Augenhöhe mit der Bevölkerung zu bewegen. Die Polizistinnen und Polizisten suchen in erster Linie das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern und diskutieren mit ihnen. Das sind Kompetenzen, die Frauen mitbringen. Zudem wirken Frauen bei Häuslicher Gewalt deeskalierend und sie fördern den Vertrauensaufbau bei Einsätzen, in die Frauen und Kinder involviert sind.»

Das zeigt sich auch im Alltag: «Eine Frau hat einen besseren Zugang zu weiblichen Opfern», erörtert Sandra Wendelspiess. «Frauen sind empathischer und lösen weniger Aggressionen aus im Gegenüber. Wenn eine Frau die Gesprächsführung übernimmt, lösen sich oftmals verschiedene aggressive Situationen besser auf. Aber schlussendlich ist es Teamwork: Frauen und Männer unterstützen sich gegenseitig, die Kameradschaft wird grossgeschrieben.» Auch Eveline Nucito betont: «Frauen haben Eigenschaften, welche Männer nicht haben – und umgekehrt. Ideal ist die Vielfalt, es braucht beides. Die Fähigkeiten müssen im Vordergrund stehen, nicht das Geschlecht.»

Zurück zum Weltfrauentag. Als sich gegen zwanzig Uhr die Demo allmählich auflöst, weicht langsam das Adrenalin aus den Körpern. «Nach jedem Einsatz ist man um eine Erfahrung reicher. Ich überlege mir hinterher immer, was war gut, was hätte besser sein können? Wie wurde ich von der Mannschaft wahrgenommen?», erzählt Eveline Nucito selbstkritisch. Als sie sich am Ende des Einsatzes über Funk von ihren Mitarbeitenden mit den Worten «danke für euren Einsatz und kömmet guet heim!», verabschiedet, schwingt eine gewisse Erleichterung mit: «Meinen Mitarbeitenden gegenüber empfinde ich eine grosse Verantwortung. Ihre Sicherheit hat höchste Priorität. Sind alle unverletzt geblieben, habe ich schon vieles richtig gemacht.»