Electronic Monitoring – eine anspruchsvolle Vollzugsform

2. Juni 2021

Eine kurze Freiheitsstrafe lässt sich unter bestimmten Voraussetzungen mittels elektronischer Überwachung vollziehen. Der Klient bleibt in der eigenen Wohnung. Bei dieser Art des Strafvollzugs geht die verurteile Person der gewohnten Erwerbstätigkeit oder einer bewilligten anderweitigen Tagesstruktur nach und wird parallel dazu sozial betreut. Diese Vollzugsform ist anspruchsvoll und verlangt ein hohes Mass an Selbstdisziplin, wie Danny Beyeler, Co-Leiter des Vollzugszentrums Klosterfiechten (VZK) ausführt.

Danny Beyeler, Co-Leiter des Vollzugszentrums Klosterfiechten, während eines Beratungsgespräches zu Electronic Monitoring.

Johnny hat Mist gebaut. Nun ist der Strafbefehl bei ihm eingetroffen: sechs Monate Gefängnis – unbedingt. Johnny hat gar keine Lust aufs Gefängnis. Er würde seinen Job als IT-Spezialist verlieren und könnte seinen drei kleinen, vorschulpflichtigen Kindern abends nicht mehr gute Nacht sagen. Würde seine Beziehung zu deren Mutter Sonja die sechs Monate Haft überstehen? Sie war ja bereits geschockt und wütend über seine Straftat. Was kann er nun tun? Gibt es für Johnny eine Alternative? Ja, die gibt es im offenen Vollzug. Allerdings muss er dafür ein Gesuch stellen. Jeder Fall wird einzeln geprüft. Der offene Vollzug ist nur nach Rücksprache mit der Vollzugsbehörde möglich und falls diese ihn bewilligt. Johnny bewirbt sich für das Electronic Monitoring (elektronische Überwachung via Fussfesseln), erfüllt alle Bedingungen und kann vorerst aufschnaufen. Diesmal ist es gut gelaufen für ihn. Er kann die Haftstrafe in einer geschlossenen Anstalt umgehen und wird dennoch vollständig für seine Straftat büssen, sozial eng betreut durch die Fachpersonen der zuständigen Institution.    

Was bietet das VZK an?

Danny Beyeler: Das Vollzugszentrum Klosterfiechten VZK bietet unter anderem besondere Vollzugsformen an mit ambulanten und stationären Angeboten. Eines davon ist das Electronic Monitoring, kurz EM. Es wird einerseits als Lockerung des Vollzugs («back door») angewandt zur langsamen Rückführung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach einem längeren Gefängnisaufenthalt, andererseits als besondere Vollzugsform («front door»). Letztere macht circa siebzig Prozent der EM-Anwendung aus. Es gibt zudem die erweiterte Anwendungsmöglichkeit des EM für Kontakt- und Rayonverbote: mittels GPS-Fessel wird dieses zum Beispiel bei einem Stalker kontrolliert und überwacht. Seit 2015 absolvierten total 162 Personen das EM des Kantons Basel-Stadt, dies bei einer Abbruchrate von etwa zwei Prozent. Johnny ist ein «front door»-Klient.

EM – was kann man sich darunter vorstellen? Was bedeutet das im Alltag von Johnny?

Johnny wird die Freiheitsstrafe zuhause im Hausarrest verbüssen, aber trotzdem aus eigener Kraft den verschiedenen Verantwortlichkeiten im Leben nachkommen: Miete, Versicherungen Lebensunterhalt. Im Falle von Johnny heisst das, dass er weiterhin in seinem Job als IT-Spezialist arbeiten wird, jedoch nach festgelegtem Zeitplan die gesamte Freizeit zuhause in seiner Wohnung verbringen muss. Er verfügt somit über das nötige Einkommen, um für seine Familie sorgen zu können. Ansonsten müsste dafür die Sozialhilfe mit Steuergeldern einspringen, da das Mami zuhause mit den «Dreikäsehochs» alle Hände voll zu tun hat und keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann.

Was sind die Vor- und Nachteile des EM?

Der grosse Vorteil des Electronic Montoring ist, dass der Straftäter im Berufsleben integriert bleibt und somit finanziell unabhängig ist. Soziale Kontakte insbesondere zur Familie bleiben bestehen. Im Vergleich zum Gefängnis ist das EM zudem ein sehr kostengünstiger Strafvollzug.

Ein Nachteil ist, dass sich während der Zeit des Strafvollzugs im EM neue Delikte per se nicht verhindern lassen. Allerdings werden die Vorteile eines EM-Vollzugs seitens Klientel so hoch eingeschätzt, dass ein Straftäter selten ein neues Delikt begeht. Kaum einer will bewusst riskieren, dass es zu einem Abbruch und damit zu einer Versetzung ins Gefängnis kommt.

Was sind eure Aufgaben diesbezüglich?

Bewirbt sich eine Person fürs EM, so übernehmen wir die individuelle Eignungsabklärung. Bei positiver Beurteilung verfügt die zuständige Behörde diesen Vollzug. Befindet sich ein Straftäter dann im EM-Vollzug, so wird die fallführende Bezugsperson ihn sehr eng begleiten. Das bedeutet ein bis zwei persönliche Gespräche pro Woche plus zusätzlich telefonische Kontakte. Manchmal wird der Klient kurzfristig telefonisch für einen Drogen- und Alkoholtest aufgeboten. Wichtig sind die Sozialberatung und die Deliktbearbeitung. Es wird besprochen, wie es zum Delikt gekommen ist, welchen Anteil der Täter daran trägt und wie künftig neue Delikte verhindert werden können. Der Täter muss sich mit dem Deliktmechanismus seiner Straftat befassen und erkennen, unter welchen Umständen er sich falsch verhalten hat. Warum ist er nicht früher ausgestiegen? Warum hat er nicht nein gesagt? Die fallführenden Personen sind alle ausgebildet in Risikomanagement aus Sicht des Täters. Sie unterstützen ihn individuell in psychosozialen und administrativen Angelegenheiten, was auch Wohnungs- und Arbeitssuche betreffen kann. Bei Bedarf vermitteln sie ihn an andere Fachstellen. Die höchste Priorität hat jedoch immer die Bedingung, dass der Täter den vorgegebenen, klar strukturierten und eng begleiteten Tages- und Wochenablauf einhält.

Gibt es Missbrauch im EM?

Ein technischer Missbrauch, so dass sich der Klient dem Vollzug entziehen könnte, kann weitgehend ausgeschlossen werden. Aber es könnte sein, dass zum Beispiel zwischen einem Arbeitgeber und dem Klienten eine Absprache bezüglich eines arbeitsfreien Tages oder Ferienbezugs getroffen wird, so dass der Klient «frei» hat und erst nach dem «freien Tag» nach Hause zurückkehrt. Wenn das geschieht und aufgedeckt wird, gibt es für den Arbeitgeber ein Strafverfahren wegen Betrugs, denn er hat falsche Angaben gemacht und seine Meldepflicht dem Vollzugszentrum gegenüber verletzt. Selbstverständlich ergeben sich auch für den Klienten Massnahmen/Sanktionen, eventuell sogar ein Vollzugsabbruch und Einweisung ins Gefängnis

Ein EM-Klient zum Vollzug

«Ich erlebe die Freiheitsstrafe im EM als gar nicht so ‹ohne›, wie ich im Vorfeld gedacht habe. Es braucht von mir sehr viel eigene Disziplin um die vereinbarten Zeiten einhalten zu können. Ich habe mein Natel so eingestellt, dass es mich jeweils zehn Minuten, bevor ich zu Hause sein muss, durch ein akustisches Signal daran erinnert, denn ich will ja nicht zu spät sein. Gestern habe ich sogar vom EM geträumt: Ich fuhr auf der Autobahn und verpasste die entsprechende Ausfahrt. So musste ich eine weite Strecke zurückfahren, um dann auf die richtige Ausfahrt zu gelangen. Ich war sehr gestresst, da ich dachte, dass ich es nicht schaffen würde, zur vereinbarten Zeit zu Hause zu sein.»

 

Bedingungen für die Aufnahme im EM

  • Eine Freiheitsstrafe von mindestens 20 Tagen bis maximal 12 Monaten;
  • Keine Fluchtgefahr oder Gefahr weiterer Straftaten (gemäss Einschätzung der zuständigen Fachperson);
  • Keine Landesverweisung gemäss Art. 66a und 66abis StGB;
  • Fester Wohnsitz in der Schweiz und/oder Weiterführung der bisherigen Arbeit beziehungsweise einer anerkannten Ausbildung in der Schweiz; dies muss in einem Beschäftigungsumfang von mindestens 20 Stunden pro Woche sein. Haus-, Erziehungsarbeit oder Arbeitsloseneinsatzprogramme sind gleichgestellt. Es kann auch eine Arbeit mit einem Beschäftigungsumfang von mindestens 20 Stunden pro Woche zugewiesen werden, wobei kein Anspruch auf eine solche Zuweisung besteht;
  • Miteinbezug des Arbeitgebers oder der Ausbildungsstätte;
  • eine fürs EM geeignete Wohnsituation, sprich: ein guter Empfang für die elektronische Überwachung ist garantiert;
  • schriftliches Einverständnis aller in derselben Wohnung lebenden, volljährigen Personen;
  • Nachweis einer Privathaftpflichtversicherung;
  • Kostenbeteiligung von 25 Franken pro Tag, sofern es die finanziellen Mittel zulassen;
  • die Gewähr, dass die Vollzugsbedingungen eingehalten werden.

Weitere mögliche Voraussetzungen werden anlässlich der Eignungsabklärung besprochen, zum Beispiel Abstinenzauflage/Alkoholverbot oder ambulante Suchtberatung beziehungsweise Teilnahme am Lernprogramm Halt Gewalt.