Bedrohungsmanagement – zum Fundament einer neuen Aufgabe

18. September 2021

Der Grosse Rat hat rechtliche Grundlagen für ein kantonales Bedrohungsmanagement beschlossen. Alsbald das revidierte Polizei- sowie das Gesundheitsgesetz in Kraft treten, wird die Kantonspolizei Basel-Stadt eine zusätzliche Aufgabe im Dienste der Kantonsbevölkerung erfüllen. Diese wird sie – wie bei vielen bestehenden Aufgaben – im engen Verbund mit unterschiedlichen Partnern lösen. Bevor die operative Arbeit startet, müssen Personal, Strukturen und Prozesse entsprechend der politischen Vorgaben entwickelt und validiert werden.

Auf Anraten der Spezialistinnen aus dem Fachreferat und der Prävention gab der damalige Departementsvorsteher Baschi Dürr im Sommer 2018 mit einem departementalen Projekt den Startschuss zum Unterfangen «Kantonales Bedrohungsmanagement» (KBM). Ziel des KBM ist es, einen konsequenten und einheitlichen Umgang mit Gefährdungssituationen im gesamten Kanton zu etablieren. Unter Einbezug von Spezialistinnen und Spezialisten aller Departemente, Opfer- und Gewaltberatungsstellen sowie Expertinnen und Experten aus dem Gesundheitswesen wurde schnell klar: Möchten wir im Kanton Basel-Stadt eine ganzheitlich wirkungsvolle Gewaltprävention, dann muss sie interdisziplinär, gesamtkantonal und koordiniert angegangen werden. Drei Jahre später hat Regierungsrätin Stephanie Eymann mit diesem komplexen und vielschichtigen politischen Geschäft an der Grossratssitzung vom 19. Mai 2021 einen zentralen Meilenstein erreicht: Der politische Auftrag in Form eines Gesetzes steht und der Aufbau kann damit beginnen.

Zentrales Arbeitsgebiet der Kantonspolizei

Weil sich die Kantonspolizei tagtäglich mit der ganzen Bandbreite von Gewaltformen auseinandersetzt, ist sie mit diesem komplexen Bestandteil der sozialen Realität (leider) eng vertraut. Erfahrungsberichte zum Bedrohungsmanagement aus anderen Kantonen und Einschätzungen von Expertinnen und aus Vernehmlassungen haben bestätigt, dass die Federführung der operativen Arbeit an die Kantonspolizei zu übertragen ist. Ihrem Grundauftrag – und auch der regierungsrätlichen Schwerpunktsetzung – verpflichtet, erfüllt die Kantonspolizei im Bereich der Gewaltbekämpfung bereits viel. Gleichwohl ist es selbstredend, dass sie ihre Arbeitsweise kontinuierlich weiterentwickelt und in den Wandel der Gesellschaft einbettet. Das Bedrohungsmanagement bildet ein wichtiges Element zur Gewaltverhinderung in unserer Gesellschaft. Der neue politische Auftrag fügt sich gleichzeitig auch nahtlos in die geplanten Entwicklungsschritte 2030 der Kantonspolizei ein. Prävention bildet einen der künftigen Schwerpunkte in dieser Entwicklung.

Die neue Aufgabe Bedrohungsmanagement

Bedrohungsmanagement lässt sich definieren als standardisiertes Vorgehen zur Verhinderung von zielgerichteter Gewalt durch eine interdisziplinäre Einschätzung konkreter Fälle. Das KBM verfolgt einen ausschliesslich präventiven Ansatz, indem es Risiko- und Schutzfaktoren analysiert und sowohl der gefährdenden als auch der gefährdeten Person Unterstützung anbietet. Namentlich betrifft dies die Bereiche Häusliche Gewalt, Gewalt aufgrund psychischer Störungsbilder und gewaltbereitem Extremismus. Der gesetzliche Auftrag der Polizei zur sogenannten «Sekundärprävention» wird dafür präzisiert. Paragraf 2 Absatz 1 des Polizeigesetzes, der die Kernaufgaben der Kantonspolizei definiert, wird in Zukunft wie folgt ergänzt:

2.bis Sie [die Kantonspolizei] erkennt im Sinne eines Bedrohungsmanagements konkrete, zielgerichtete von Personen ausgehende Gewaltbereitschaft, die geeignet ist, die physische, psychische oder sexuelle Integrität Dritter ernsthaft zu gefährden und trifft hierfür präventive Massnahmen nach §§ 61a - 61g.

Die Paragrafen 61a - 61g regeln, wie die Kantonspolizei diese Aufgabe zu erfüllen hat. Wir wissen, dass Vorfälle schwerer zielgerichteter Gewalt meist Endpunkte einer krisenhaften Entwicklung darstellen, für die es im Vorfeld häufig Anzeichen oder Warnsignale gibt. Um beurteilen zu können, ob eine Person sich in einer solchen Negativspirale befindet, müssen vorhandene Informationen zu einem Gesamtbild zusammengezogen werden können.

Konkret erhält die Kantonspolizei den Auftrag, eine Bedrohungsmanagement-Fachstelle zu betreiben und mit Amts- und Behördenmitgliedern, Fachpersonen aus Sozial- und Gesundheitswesen, Bildungsinstitutionen, Mitarbeitenden von Beratungs- und Opferhilfestellen etc. Informationen auszutauschen. Diese Funktion als Informationskoordinatorin bildet die Grundlage für ein interdisziplinäres Case Management.

Qualität schafft Vertrauen, aber erfordert Ressourcen

Das Projektteam unter der Leitung von Sonja Roest (Leiterin Fachreferat im Generalsekretariat des Justiz- und Sicherheitsdepartements) hat ab Beginn des Projektes die Prämisse vertreten, dass das KBM nur dann ein wirksames und pragmatisch-erfolgreiches Case Management betreiben kann, wenn sich die involvierten Akteure aus den verschiedenen Fachgebieten verstehen und vertrauen. Es braucht Transparenz über das eigene Vorgehen, konstruktive Auseinandersetzungen zur Entwicklung von Haltungen und laufende Qualitätsprüfungen. Über Massnahmen, Lern- und Verbesserungsfortschritte muss offen kommuniziert werden. Soll einst der Regelbetrieb nach diesen Massstäben gelingen, muss bereits das Projekt und der politische Prozess nach ihnen ausgerichtet sein.

Bereits der Erstentwurf des Gesetzes war – im Vergleich zu anderen kantonalen Polizeigesetzen, die den Bedrohungsmanagement-Auftrag regeln – von einer hohen Regelungsdichte und Spezifität geprägt. Das Gesetz und somit das «KBM-Modell Basel-Stadt» wurde mittels verwaltungsinterner Ämterkonsultation, öffentlicher Vernehmlassung, ausführlichster Beratung der Sachkommission des Grossen Rates und durch das Plenum des Grossen Rates intensiv beraten, bearbeitet und weiter ausspezifiziert. Es wurde kein Referendum ergriffen. Rückblickend lässt sich zusammenfassen, dass die Kantonspolizei einen neuen Auftrag entgegennimmt, der mittels hoher demokratischer Güte und gesellschaftlicher Debatte entwickelt wurde.

Wohl aber schien die parlamentarische Beratung mitunter auch von ganz grundsätzlichen (polizei-)kritischen Voten geprägt gewesen zu sein. Und dies, obschon der Regierungsrat darauf verwiesen und im Ratschlag ausgeführt hatte, wie wichtig die Qualitätssicherungsprozesse sein werden. Auch hatte er erklärt, dass in einem mehrstufigen Prozess (verschiedene Hierarchiestufen und Departements übergreifend) Analysen, Kontrollen und Evaluationen stattfinden werden und der Regierungsrat über die erste operative Betriebsphase Bericht erstatten wird. Geäussert hat sich diese kritische Debatte in den weiteren Ergänzungen des Gesetzes u.a. bezüglich Orientierung per Verfügung, «Rechtsschutz» und dem Wunsch nach einer jährlichen Berichterstattung durch den Datenschutzbeauftragten. Die Einführung einer doppelten Aufsichtsstruktur wurde knapp abgelehnt. Die zusätzlichen gesetzgeberischen Ansprüche und auch die Zwischentöne werden der Kantonspolizei Ansporn sein. Der Regierungsrat hatte im Wissen um die notwendigen Ressourcen für den operativen Betrieb – bei ausserordentlicher Qualität – entsprechend geplant. Soll keine Qualitätsreduktion stattfinden, wird eine Neubeurteilung der Ressourcenlage für die Umsetzung geprüft werden müssen.

Projektphase «Implementation Bedrohungsmanagement»

Die Bauparzelle für das Bedrohungsmanagement ist ausgemacht, denn das Gesetz steht. Bevor es in Kraft treten kann, wird das Projektteam nun eine Fülle an Aufgaben planen, abarbeiten und das «Haus» für die künftige Bedrohungsmanagement-Fachstelle aufbauen und ins «Quartier» darum herum einbetten. Weil es das KBM-Modell Basel-Stadt leider nicht als Fertighaus gibt, übernimmt die Projektorganisation gewissermassen Architektur, Ingenieurswesen, Bauführerschaft, Bauarbeiten und Quartierentwicklung als Generalunternehmung. Den weiteren Baufortschritt werden wir gespannt beobachten. Ob es bereits für ein Richtfest in diesem Jahr reichen wird? Hauptsache der Kanton Basel-Stadt wird gefährdeten und gefährdenden Personen in Zukunft ein dichtes Dach anbieten können.